Das Drehbuch „La Fix“ von Irma-Kinga Stelmach über eine moderne Pendlerin, die hin und her gerissen ist zwischen den verschiedenen Welten in Europa, hat den Emder Drehbuchpreis 2017 gewonnen. Die mit 10.000 Euro dotierte, zum 13. Mal vergebene Auszeichnung, wurde heute von Preisstifter Jakob Weets in einer feierlichen Verleihung im vhs Forum in Emden an die Autorin übergeben. Mit einem Preisgeld von jeweils 1.000 Euro wurden darüber hinaus die nominierten Drehbücher „Alles gut“ von Eva Trobisch sowie „Nazi Safari“ von Mark Monheim und Martin Rehbock ausgezeichnet. Die Jury stellen in diesem Jahr der Schauspieler Florian Panzner („Mord in Eberswalde“), die Drehbuchautorin Nicole Armbruster („Freistatt“), die Journalistin und TV-Kritikerin Dr. Heike Hupertz, der HR-Kino- und TV-Film-Redakteur Jörg Himstedt und Lucia Eskes, Leiterin des Referats Grimme-Preis.
Seit 2005 wird der Drehbuchpreis beim Internationalen Filmfest Emden-Norderney vergeben. In diesem Jahr wurden 80 Drehbücher eingereicht. Sie müssen deutsch-sprachig, unverfilmt und innerhalb der letzten 12 Monate fertiggestellt worden sein. Jedes einzelne wurde von drei Mitgliedern der fünfköpfigen Emder Nominierungs-kommission gelesen und bewertet – also 240 Bewertungen für 80 Drehbücher. Die zehn Besten wurden ausgewählt und an die Grimme-Jury weitergeleitet. Diese nominierte drei Drehbücher für die Endausscheidung und legte jetzt vor Ort in Emden in der Abschlusssitzung einstimmig den Preisträger und zwei Zweitplatzierte fest.
Im Gewinner-Drehbuch „La Fix“ geht es um Magda, die im ständigen Transit lebt. Kaum an einem Ort angekommen, plant sie ihre Weiterreise. Nach Berlin, zur Tochter Iza, die dort mit dem Geld der Mutter Jura studiert oder in die WG der anderen Pflegemigrantinnen, die miteinander ihre Fälle durchsprechen und verwalten. Nach Italien, wo sie die längste jüngst vergangene Zeit mit dem dementen Wolfgang verbracht hat. Nach Polen, nach Hause, in das Haus, das ihr Mann Pawel mit dem in der Fremde erarbeiteten Geld beständig weiterbaut und verschönert. Der zehnjährige Sohn Kuba wächst in der väterlichen Konditorei auf und singt so gern wie seine Mutter, die in ihrer früheren Existenz Musiklehrerin war, die nur beim Singen ganz bei sich zu sein scheint. Magda pendelt seit Jahren, ist bezahlter Familienersatz hier und hat Schwierigkeiten als Mutter dort, pendelt zwischen Entfremdung und versuchter Nähe, immer auf dem Sprung, immer wieder anknüpfend an die letzte Begegnung, das letzte Telefongespräch, das letzte Zu-sammentreffen per Skype. Magda ist „La Fix“, wie sich die Vierundzwanzigstunden-Pflegekräfte aus dem Osten untereinander nennen. Und sie ist mehr als das.
Die Jury urteilt: „Die Rastlosigkeit Magdas ist permanent spürbar. Wir begleiten sie in Situationen, die Ausschnitte ihres Lebens zeigen, die aber eine ganze Lebens-geschichte erahnen lassen. Die Dichte des Buches ist inspirierend, beim Lesen entstehen unmittelbar Bilder und Geräusche. Das Rattern des Zuges gibt den Rhythmus vor. Der Baustellenlärm, der jedes Gespräch mit der Tochter unterbricht. Der Laptopbildschirm, der das Gesicht des Gegenübers im nächtlichen Fenster spiegelt. Skype vermittelt nur die Illusion der Anwesenheit. Was ist Heimat und wie hält man den Kopf über Wasser, wenn man die Familie über Jahre aus der Distanz erlebt? Die Autorin hat ein Kunstwerk geschaffen, in dem jede Szene in Vergangenheit und Zukunft weist, sie beobachtet sehr konkret und lässt trotzdem viel Raum für Fragen und Reflexion. Die Jury gratuliert Irma-Kinga Stelmach für „La Fix“ zum Emder Drehbuchpreis 2017.“
In „Alles gut“ von Eva Trobisch geht es um Janne und Piet, die nach einer Privat-insolvenz nach Brandenburg zurück ziehen, um dort in der provinziellen Idylle einen Neuanfang zu wagen. Bei einem Abi-Treffen lernt Janne zufällig Martin in einer Kneipe kennen. Sie finden sich auf Anhieb sympathisch. Die Jury meint: „Das Buch schafft es auf besondere Weise, Beziehungen mit ihren kleinen Ritualen, mit ihren unausgesprochenen Blicken und Gesten authentisch zu erzählen. Wir erfahren nicht viel von Janne und Piets Vorleben und doch alles. Wie sie miteinander umgehen. Wie sie reden. Und vor allem, was sie einander nicht mehr sagen müssen. Eva Trobisch erzählt von einer Katastrophe mit verzögertem Ausbruch und gerade darin liegt seine erzählerische Wucht.“
In „Nazi Safari“ erzählen Mark Monheim und Martin Rehbock, beide schon Drehbuchpreis-Gewinner in Emden 2013 („About a Girl“), die Geschichte der Läuterung der beiden Skinheads Maik und Ronny, die ein unwahrscheinlicher Zufall mitten ins tiefste Schwarz-Afrika verschlägt. Ohne Geld, ohne Papiere und völlig hilflos versuchen die beiden, irgendwie zurück nach Deutschland zu gelangen. Auf ihrer wahnwitzigen Reise begegnen ihnen dabei: windige Geschäftemacher aus Europa, wilde Tiere, wagemutige Kinder, hilfsbereite Dorfvorsteher, islamistische Terroristen und afrikanische Flüchtlingstrecks. Die Jury sagt: „In ihrem grotesk überzeichneten Road-Movie erzählen die beiden Autoren mit viel skurrilem Humor von einer absurden Flucht nach Europa. Die Konfrontation der beiden Neonazis mit der harten Lebenswirklichkeit, mit Gewalt und Terrorismus, aber auch mit Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft verändert ihr schlichtes Weltbild.“
Veröffentlicht: 09.06.17